29. Dezember 2024

Wir feiern 250 Jahre Spätlese

Hätte es vor 250 Jahren bereits Klatschpresse gegeben, wären den Rheingauern vermutlich folgende Schlagzeilen auf der Titelseite ins Auge gefallen:

„2 Wochen Verspätung – können die Benediktinermönche auf dem Johannisberg ihre Lese noch retten?“ oder „Kurier verantwortlich für faule Trauben – droht ihm nun die Höchststrafe?“

Doch was damals im Herbst 1775 nach einer Katastrophe aussah, stellte sich als glücklicher Zufall heraus. Denn das Jahr 1775 gilt seit jeher als Geburtsjahr der Spätlese – und Schloss Johannisberg als ihr Geburtsort.

Aber fangen wir von vorne an.

Im 18. Jahrhundert galt im Rheingau die Regel, dass die Weinlese bis zum Gallustag, dem 16. Oktober, abgeschlossen sein sollte. Dem damaligen Besitzer von Schloss Johannisberg und Fürstabt von Fulda, Konstantin von Buttlar, gefiel diese Regelung nicht. Er wollte selbst bestimmen, wann in seinen Weinbergen gelesen wird und führte eine eigene Qualitätskontrolle ein. Jedes Jahr, wenn die Trauben allmählich reiften, sollte ein Kurier der Benediktinermönche mit Trauben im Gepäck nach Fulda reiten und diese dem Fürstabt übergeben. Konstantin von Buttlar prüfte die Reife und Qualität der Trauben und stellte je nach Ergebnis eine Leseerlaubnis mit dem Lesezeitpunkt aus. Damit ritt der Kurier zurück nach Johannisberg, wo er nach etwa einer Woche von den Mönchen zurückerwartet wurde.
Dieses System funktionierte gut in all den Jahren, doch sollte es im Jahr 1775 anders kommen. Der Kurier verspätete sich um zwei Wochen. Die Gründe für seine Verspätung sind bis heute unklar, doch sicher ist mittlerweile, was in diesen zwei Wochen im Weinberg geschah: Zum einen wurden die Trauben jeden Tag reifer und der Zuckergehalt stieg. Hinzu kam, dass sich der bis dahin unbekannte Botrytis-Pilz auf den Trauben ausbreitete, die sogenannte Edelfäule. Diese trägt dazu bei, dass die Haut der Beeren fein durchlöchert wird und Wasser verdunsten kann. Somit findet in der Beere eine Konzentration an Zucker und Aromastoffen statt. Als die Mönche 1775 nach zwei Wochen des Wartens endlich mit der Lese beginnen konnten, sahen sie nur vermeintlich faule Trauben an den Rebstöcken und fürchteten um die Qualität des Weines. Trotz allem mussten sie wieder Wein produzieren und lasen, wenn auch mit wenig Hoffnung auf einen guten Jahrgang, die Trauben. Und siehe da: Als im Frühjahr 1776 der Wein aus diesen spät gelesenen Trauben probiert wurde, stellte er sich als ein Feuerwerk an Süße und Fülle, als ein himmlischer Genuss heraus!
Und so beschloss der Fürstabt aus Fulda, in Zukunft erst dann mit der Lese zu beginnen, wenn alle Nachbarweingüter im Rheingau ihre Lese beendet hatten. Nach und nach entstanden so auch die höheren Prädikate Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese.
Der Fürst von Metternich war es, der etwa ein halbes Jahrhundert später den Grundstein für unser Farbsystem legte und die Flaschen der Spätlese in grünen Siegellack tauchte – unser „Grünlack“ war geboren. Dem Traubenkurier haben wir in unserem Hof ein Denkmal gesetzt und nennen ihn heute stolz unseren Spätlesereiter.

Hätte es also vor 250 Jahren bereits Klatschpresse gegeben, wäre die passende Schlagzeile vielmehr folgende gewesen:

„Wer zu spät kommt, den beschenkt das Leben!“


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